Über den Dächern von Bissendorf - Brauchen wir die 380kV-Stromtrassen wirklich?

15.01.2015 19:32 von Sabine Driehaus

„Wo wollen die denn mit dem ganzen Strom hin?“

Hier werde im Rahmen des Ausbaus der erneuerbaren Energien für die dafür notwendigen Leitungen und Netzkapazitäten gesorgt, so der hiesige Planer Amprion.

Der Netzausbau auf der Überholspur

Das Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) von 2009 beschleunigt den Bau von momentan 23 „vordringlichen“ Leitungsbauvorhaben im 380kV-Übertragungsnetz, „die für die Integration des Stroms aus Windenergie und neuen, hocheffizienten konventionellen Kraftwerken sowie für den EU-weiten Stromhandel erforderlich sind“. Die Leitungen werden also mitnichten nur der erneuerbaren Energien wegen gebaut. Der Projektsteuerungsgruppe der Dena-Netzstudie II, die die Grundlage für die Trassenführung und Auslegung der Netze bildet, gehören neben der Bundesregierung und den Betreibern der Offshore-Windparks u.a. noch die Übertragungsnetzbetreiber (also auch Amprion), die Lobbyverbände der Stromkonzerne und Anlagenbauer wie Siemens an.

Ebenfalls 2009 winkte der Bundestag auf Betreiben der Stromkonzerne eine Änderung des bis dahin sehr erfolgreichen Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) im Schnellverfahren durch, die die Wirtschaftlichkeit von Ökostromanlagen herabsetzte, die EEG-Umlage unverhältnismäßig in die Höhe schnellen ließ und damit die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung senkte. Seit 2009 bremst die Bundesregierung die (dezentrale) Erzeugung von Strom mit erneuerbaren Energien systematisch aus.

 

2010 wurde zwischenzeitlich eine Laufzeitverlängerung für die Atomkraftwerke beschlossen. Wirft man einen näheren Blick auf die bundesweite Trassenplanung, fallen Ortsnamen wie Krümmel, Neckarwestheim, Grafenrheinfeld und Philippsburg ins Auge. Sicher ist es sinnvoll, das vorhandene Verteilernetz rund um die (Atom-) Kraftwerke weiter zu nutzen. Wenn sich der politische Wind aber dreht, „fließt“ der Strom natürlich auch anders herum...

Ein weiterer Blick auf die Trassenführung lässt erkennen, dass viele Trassen traditionelle Kohlereviere und -kraftwerke streifen; auch der Leitungsabschnitt Gütersloh – Lüstringen – Wehrendorf macht einen „Schlenker“ in Richtung des Kohlekraftwerks Ibbenbüren. Zufall?

Wohl eher nicht, wenn man Lorenz Jarass glaubt, Wirtschaftswissenschaftler an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden. Seiner Ansicht nach ist der geplante Netzausbau überdimensioniert. Die Netzkapazitäten seien so ausgelegt, dass selbst in Spitzenzeiten der Windenergieproduktion auch die Kohlekraftwerke noch nahezu uneingeschränkt einspeisen können. Überschüssiger Strom könne dann (auch über die neuen Leitungen) ins Ausland exportiert werden. So viel zum Klimaschutz.

Wir erinnern uns: „Die konventionellen Kraftwerke (Braunkohle, Steinkohle, Gas) als Teil des nationalen Energiemixes sind auf absehbare Zeit unverzichtbar.“ Ein Satz aus dem Koalitionsvertrag von 2013.

Warum besteht Beschleunigungsbedarf beim Netzausbau, wenn doch die Energiewende ausgebremst wird?Warum wird der Bau notwendiger Gaskraftwerke (z.B. in Bayern) bei der Auslegung gar nicht berücksichtigt?

Wir können auch anders“

Unsere Nachbargemeinde Ostercappeln macht gerade vor, wie man mit etwas gutem Willen, klugen Ideen und der Bereitschaft zur Zusammenarbeit eine ländliche Kommune trotz angespannter Haushaltslage zu hundert Prozent mit erneuerbaren Energien versorgen kann und davon auch noch finanziell profitiert (Die NOZ berichtete). Es geht also. Und: Eine dezentrale Stromversorgung braucht keine Höchstspannungsleitungen in diesem Umfang. Im Gegenteil: Sind diese Leitungen erst einmal da, könnten sie die regionale Energieerzeugung mit erneuerbaren Energien sogar verhindern, denn der Versorgungsnetzbetreiber kann dann mit dem Argument „Warum? Ihr seid doch gut versorgt!“ jeden Anschluss von Ökostromanlagen „unwirtschaftlich rechnen“.

Ohne 380kV gehen die Lichter auch nicht aus

Mit ihrer derzeitigen Energiepolitik fördert die Bundesregierung eine zentral von Großkonzernen gesteuerte „Energiewende“. Betreiber von Offshore-Windparks erhalten rund 10 Cent pro Kilowattstunde erzeugten Stroms mehr als die von Anlagen an Land. Die Offshore-Projekte verursachen allein schon durch die Nord-Süd-Trassen Folgekosten in Milliardenhöhe, die die Stromverbraucher zahlen werden.

Laut Übertragungsnetzbetreiber Amprion ist die Wechselstromleitung durch Bissendorf Teil des „bundesweit flächendeckenden Ausbaus der 220kV-Leitungen auf 380kV“ und soll in erster Linie die Region mit Strom versorgen. Aber wozu brauchen wir in einer Zeit, in der Energiesparen angesagt ist und elektrische Geräte immer energieeffizienter werden, die mindestens doppelt so hohe Leistung einer 380kV-Leitung?

Eine Frage, die man stellen sollte.



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